Über Sucht

 

Suchttypen

 

Der Physiologe Dr. Elvin Morton Jellinek hat in seinem heute noch gebräuchlichen und verbreiteten Konzept Alkoholkranke in fünf Typen unterteilt. Wie bei Kategorisierungsversuchen in anderen Fachgebieten - sind die aufgeführten Einteilungsmerkmale nicht immer zutreffend und die Alkoholkranken nicht immer und nicht vollständig in die vorgegebenen Typen einzuordnen. Es gibt Übergangsformen und Mischtypen. Weiterhin ist diese Einteilung in der Regel nicht statisch: So entwickelt sich häufig der Konflikttrinker langsam hin zum süchtigen Trinker, der Gelegenheitstrinker langsam zum Gewohnheitstrinker.

 

Nichtsüchtige Trinker
Alpha-Trinker Beta-Trinker
(Problemtrinker) trinken, um seelische Belastung leichter zu ertragen. Es besteht keine körperliche Sucht, jedoch eine seelische. Das Trinkverhalten ist undiszipliniert. Es kommt jedoch nicht zu einem Kontrollverlust. Gesundheitsschäden sind dennoch zu befürchten. (Gelegenheitstrinker) trinken unter der Übernahme gesellschaftlicher Konsummuster (z.B. auf Feiern jeglicher Art). Obwohl Beta-Trinker weder psychisch noch physisch süchtig sind, sind sie leicht zum Konsum zu verleiten und schädigen durch unverantwortliches Handeln ihre Gesundheit. Beta-Trinker sind suchtgefährdet.
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Süchtige Trinker
Gamma-Trinker Delta-Trinker
(Suchttrinker) sind psychisch stärker süchtig als physisch. Beim Trinken kommt es zum Kontrollverlust. Trinkexzesse und unauffällige Phasen wechseln sich ab. Durch den ersten Schluck Alkohol wird ein scheinbar unstillbares Verlangen nach immer mehr Alkohol ausgelöst. (Spiegeltrinker) sind körperlich stärker abhängig als psychisch. Delta-Trinker benötigen eine bestimmte Mindestmenge Alkohol, um sich gut zu fühlen. Ohne Alkohol leiden Delta-Trinker an Entzugserscheinungen wie Tremor, Diarrhö und Schlaflosigkeit und fallen sozial eher auf.
Uneinheitliche Form
Epsilon-Trinker
(Quartalssäufer) sind psychisch abhängig. Sie können über Monate abstinent sein, gefolgt von Episoden exzessiven Alkoholkonsums. In diesen Phasen ist ein Kontrollverlust vorhanden. Trinkexzesse können tagelang fortgeführt werden und zu vorübergehendem Gedächtnisschwund (Filmriss) und illusionärer Verkennung führen. Nach einer solchen Phase folgt in der Regel wieder eine Phase der Abstinenz.

 

Suchtverlauf

 

Jellinek unterscheidet vier Phasen des Krankheitsverlaufes:

 

Prodromal- oder Vorläuferphase

 

Das typische der Prodromal- oder Vorläuferphase ist, dass das Trinken in sozialen Zusammenhängen beginnt. Wie die meisten Menschen trinkt der potentielle Alkoholiker in Gesellschaft, nur dass er beim Trinken bald eine befriedigende Erleichterung verspürt. Diese schreibt er allerdings eher der Situation zu, dem Feiern, Spielen oder der Gesellschaft. Er beginnt, derartige Gelegenheiten zu suchen, in denen „nebenbei“ getrunken wird. Mit der Zeit entwickelt sich Toleranz gegenüber dem Alkohol, das heißt, er braucht mehr Alkohol als früher, um den angestrebten Zustand der Euphorie zu erreichen. Er trinkt häufiger, auch zur Erleichterung seines Befindens. Die psychische Belastbarkeit lässt nach, so dass er bald täglich trinkt. Ihm und seinem Umfeld fällt dies meist noch nicht auf.

 

Symptomatische Phase

 

Die Phase erster Auffälligkeiten. Beim Alkoholiker in dieser Phase treten beispielsweise Gedächtnislücken (Amnesien) auf. Er kann sich vollkommen normal verhalten und sich dennoch manchmal an wenig erinnern, ohne dass er erkennbar betrunken gewesen ist. Der Alkohol ist nun kein bloßes Getränk mehr, er wird vom Alkoholiker gebraucht. Er beginnt zu merken, dass er anders als andere Menschen trinkt und versucht nicht aufzufallen. Deshalb beginnt er häufig heimlich zu trinken. Er denkt häufiger an Alkohol als üblich und trinkt die ersten Gläser hastig, um möglichst schnell die Wirkung zu bekommen. Es stellen sich Schuldgefühle wegen seines Trinkens ein, darum versucht er das Thema Alkohol in Gesprächen zu vermeiden. Der Übergang zum chronischen Alkoholismus ist durch ein meist unauffällig gesteigertes Bedürfnis und Verlangen nach Alkohol gekennzeichnet. Wegen der körperlichen Gewöhnung ist eine immer höhere Alkoholmenge nötig, um dieselben psychischen Effekte zu erreichen wie zu Anfang des Trinkens. Ein zunächst nur gelegentliches Erleichterungstrinken kann dann zum dauernden Entlastungstrinken ausarten.

 

Kritische Phase

 

Der Alkoholiker kann sein Trinken nun überhaupt nicht mehr kontrollieren. Er kann zwar über längere Zeit abstinent sein, nach der ersten kleinen Menge Alkohol jedoch hat er ein nicht mehr zu beherrschendes Verlangen nach mehr, bis er betrunken ist. Er selbst glaubt, dass er in diesen Situationen nur vorübergehend seine Willenskraft verloren hat, ist dem Alkohol gegenüber allerdings schon machtlos, d. h. alkoholabhängig. Diese Abhängigkeit ist ihm meistens nicht bewusst oder wird verdrängt. Er sucht Ausreden für sein Trinken, erst recht für seine Ausfälle, für die er überall, nur nicht in seinem Alkoholmissbrauch Gründe und Ursachen findet. Diese Erklärungsversuche sind ihm wichtig, da er außer dem Alkohol keine anderen Lösungen seiner Probleme mehr kennt. Er wehrt sich damit gegen soziale Belastungen. Wegen seines Verhaltens kommt es immer häufiger zu Konflikten.

 

Ganze Familien isolieren sich, wenn sie den Trinkenden „decken“ (Co-Alkoholismus, Co-Abhängigkeit) oder die Angehörigen sich schämen. Der Alkoholiker kann so in die Rolle eines Despoten geraten. Sein schrumpfendes Selbstwertgefühl kompensiert er dabei häufig durch gespielte Selbstsicherheit und großspuriges Auftreten.

 

Der Süchtige kapselt sich zunehmend ab, sucht aber die Fehler in der Regel nicht bei sich, sondern bei anderen. Er verstärkt seine soziale Isolation immer mehr, während er zu anderen Zeiten oft geradezu verzweifelt um Nähe, Verständnis und Zuspruch bettelt. Einige bagatellisieren ihr Trinkverhalten mit bekannten Sprüchen wie „Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren“. Oder verlieren das Interesse an der Umgebung ganz. Der Süchtige richtet seine Tätigkeiten nach dem Trinken aus und entwickelt so ein eigenbrötlerisches Verhalten häufig mit Selbstmitleid, in dem er sich wiederum mit Alkohol „tröstet“. Soziale Isolation und Verstrickung in Lügen und Erklärungen werden zu besonders auffälligen Merkmalen von chronisch gewordenem Alkoholismus.

 

Chronische Phase

 

Der Alkohol beherrscht den Trinker nun vollkommen. Seine Persönlichkeit verändert sich. Er trinkt unter der Woche, am hellen Tag, schon am Morgen. Räusche können sich über Tage erstrecken. Sozialer Kontakt ist im chronischen Stadium meist nur noch mit Menschen möglich, die gleichfalls viel trinken. In der Gruppe entwickeln sie, wechselseitig bestärkt, ein noch auffälligeres Verhalten, bis im Rauschzustand der letzte Rest Anstand, Rechtsbewusstsein und Selbstachtung schwindet. Motorische Unruhe und Angstzustände können nun ein Entzugssyndrom ankündigen, das nur mit Weitertrinken vermieden werden kann. In dieser Phase kann kaum noch von „Befriedigung“ im Rausch die Rede sein. Vielmehr vermeidet und bekämpft der Süchtige meist nur noch schnell oder verstärkt auftretende Entzugssymptome, wenn nötig mit Hilfe von Billigprodukten oder sogar vergälltem Alkohol wie Brennspiritus.

 

Im Endstadium der chronischen Phase können Alkoholpsychosen mit typischen Halluzinationen, Angst und Desorientierung auftreten, oft verbunden mit unbestimmten religiösen Wünschen. Epileptische Anfälle oder ein lebensgefährliches Delirium tremens können auftreten. Nicht wenige Alkoholiker nehmen sich das Leben.

 

In dieser Endphase ist der Kranke am ehesten bereit, Hilfe anzunehmen. Einweisung in ein geeignetes, meist psychiatrisches Krankenhaus zur „Entgiftung“ oder besser gesagt zum „körperlichen Entzug“ ist dann lebensrettend und gleichzeitig ein möglicher „Einstieg“ zur notwendigen Entwöhnungsbehandlung.